Die Kunst des Übergangs

26 Juli 2019

Sanfte wie rasende Klänge entlockte Giorgio Parolini der Königin der Instrumente beim Meininger
Orgelsommer in der Stadtkirche. Und das nicht nur mit „Klassischem“.

Ruhig und verspielt geht das Adagio aus Charles Marie Widors (1844–1937) Symphonie Nr. 6 (op. 42/2) zu Ende, die unbeschwerte Melodie wird von gedämpften Dur-Klängen getragen, die dann immer mehr abebben, bis sie schließlich irgendwo im Kirchenschiff verstummen. Pause. Dann ertönt Marco Enrico Bossi (1861–1925). Der dramatische Vollklang zu Beginn seiner Thème et Variations (op. 115) entlädt sich im bebenden Fortissimo. Schrill zischen dann die Orgelpfeifen die Melodien. Finger und Füße flitzen über Tasten und Pedale. Jede Unbeschwertheit ist wie ausgelöscht. Denn das Orgelkonzert von Giorgio Parolini im Rahmen des Meininger Orgelsommers am Mittwochabend in der Stadtkirche war eine Feier der Übergänge. Routiniert reihte der Mailänder Lautes und Leises, Sanftes und Rasendes, Vergnügtes und Betrübtes aneinander. Dabei haftete der konzentrierte Blick des studierten Organisten meist an der Partitur, nur selten wechselte sein Blick auf die Klaviatur. Dann prüfte er – unter den Brillengläsern hinweg – die Lage seiner Hände. Eine Verkettung musikalischer Wechsel zeigte bereits die eröffnende Sonate Nr. 8 (op. 132) von Joseph Gabriel Rheinberger (1839–1901): Zwischen schweren Akkorden begehren fröhliche Motive immer wieder auf, schöpfen immer wieder neue Hoffnung, nur um letztlich doch im unausweichlichen E-Moll-Grundklang zu enden. Nicht umsonst kündigte Stadtkantor Sebastian Fuhrmann das Konzert des Italieners als beruhigende und zugleich aufwühlende Orgelmusik an. Für Vielfalt sorgte indes auch die Auswahl der Komponisten. Denn Parolini stellte den Besuchern nicht nur Werke romantischer Künstler vor, sondern präsentierte darüber hinaus drei Stücke des zeitgenössischen Komponisten Grimoaldo Macchia (geboren 1972). Während sein Orgelchoral „Das stille Gebet eines Großen Mannes“ in gesanglichen Phrasen voranschreitet, könnte seine Choralphantasie „Christ ist erstanden“ im frühen Mittelteil auch als Filmmusik bei einer Verfolgungsjagd funktionieren.

Zugabe eingelöst
Konsequenterweise trägt Macchias Paraphrase on Antiphona „Ave Maria“ daraufhin einen entschleunigten Charakter, bevor Giorgio Parolini sein gut einstündiges Konzert mit Max Regers (1873–1916) „Halleluja! Gott zu loben, bleibe meine Seelenfreud“ (op. 52/3) abschließt, das – natürlich – wieder ganz kontrastierend im dramatischen Forte beginnt. Bei dieser hohen Kunst der Übergänge wundert es trotz etwas kühleren Temperaturen in der Kirche nicht, dass der virtuose Maestro an der Orgel doch ziemlich ins Schwitzen kam. Nach langem Applaus glänzte Parolini dennoch abschließend mit einer Zugabe: Passend zu seinem Gastspiel in Meiningen brachte er eine kurzweilige Choralbearbeitung von Johannes Brahms zum Klingen.

Von Markus Kilian (Meininger Tageblatt, 26 Juli 2019)