Himmlische Virtuosenkunst
20 Oktober 2009
Ein sonniger Gruß aus „Bella Italia“ erwärmte die evangelische Christuskirche in Kronach, in der am Wochenende das zweite Konzert im Rahmen des 5. Internationalen Orgelzyklus stattfand. Dem Dekanatskantor und Organisator der Konzertreihe, Marius Popp, war es gelungen, den international renommierten Organisten Giorgio Parolini für dieses Konzert zu gewinnen. Parolini, Jahrgang 1971, entführte seine Zuhörer auf eine Zeitreise durch drei Jahrhunderte Orgelmusik, wobei er den Schwerpunkt auf italienische Komponisten legte.
Giorgio Parolini, Organist an der berühmten Basilica Santa Eufemia in Mailand, eröffnete sein Konzert jedoch mit einer Hommage an Felix Mendelssohn Bartholdy, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte. Bereits mit dem Ostinato c-Moll nahm der mehrfach ausgezeichnete Organist, der unter anderem erster Preisträger des Virtuosenwettbewerbes in Genf ist, durch sein ebenso kraft- wie gefühlvolles Spiel gefangen. Mit Mendelssohns letzter Sonate, Op. 65 Nr. 6 (Vater unser), demonstrierte Parolini auf beeindruckende Weise den Facettenreichtum dieses technisch anspruchsvollen Werkes. Vom andächtigen Piano bis zum majestätischen, virtuosen Fortissimo. Mendelssohn fordert hier das ganze Können des Organisten: das Spiel des ganzen Pedals und der kompletten Klaviatur des Manual. Und Parolini beherrscht Komposition und Orgel als spiele er nur mit dem Herzen, intuitiv, einer himmlischen Eingebung folgend, leicht, verspielt, voller Hingabe.
Dieser bewegenden Einstimmung folgte ein facettenreicher Reigen italienischer Orgelmusik. Mit der „Sonata sui flauti“ und der „Toccata per il Deo Gratias“ von Giambattista Martini (1706 – 1784) eröffnete Parolini diesen Konzertbogen. Von Giuseppe Geradeschi (1759 – 1815) war das verspielte Rondo in
G-Dur, das deutlich die Liebe des Komponisten zu Theater und Oper erkennen lässt. „Solo di Oboe“ und „Invocazione“, beides Stücke aus der Feder des römischen Romantikers Filippo Capocci (1840 – 1911), lehnen sich an die deutsche und französische Orgelschule (Gregorianik) an.
Gregorianische Einflüsse wurden auch bei dem Werk des zeitgenössischen Komponisten Eugenio Maria Fagiani (geboren 1972) spürbar. „Veni Creator Spiritus“ ist eine Widmung Fagianis an den Organisten Parolini. Das Stück entstand im Jahr 2009. Fagiani orientiert sich in seinem Werk an dem weltberühmten Komponisten Naji Hakim (geboren 1955). Die Komposition ist frei vom Metrum und dennoch effektvoll und stringent durchgearbeitet. Charakteristisch sind die sehr schnell abwechselnden Motive, die sich in großen Dissonanzen über dem eigentlichen „cantus firmus“ im Pedal bewegen. Permanente Taktwechsel, Motive, die teilweise an Tanz- und sogar an Popmusik erinnern – und die letztlich im strahlenden Plenum als Hommage an den Heiligen Geist enden.
Lange Jahre in Vergessenheit geraten, erleben die Kompositionen von Marco Enrico Bossi (1861 – 1925) derzeit eine Renaissance. Parolini gab hier die Stücke „Rédemption Op. 104/5“ (Erlösung), und „Allegretto Op. 92/3. Danach bewies der Meister der virtuosen Orgelmusik auf der romantischen Steinmeyer-Orgel in der Christuskirche sein großes Können mit der „Symphonischen Konzertetüde Op. 78“.
Dekanatskantor Marius Popp erläuterte, weshalb Organisten dieses komplizierte Stück früher scheuten: „Die große Herausforderung liegt hier in der Pedalarbeit über zweieinhalb Oktaven und den schnellen Wechseln von Manual und Pedal. Bei steigender Geschwindigkeit spielen Hände und Füße schließlich über die komplette Klaviatur – das erfordert ein hohes Können. Hervorragend ausgebildete Organisten wie Giorgio Parolini wagen sich heute wieder an solch komplizierte Stücke – und Parolini ist nicht nur ein profunder Kenner der italienischen Orgelmusik sondern auch ein virtuoser Organist.“
Parolini spielt als Solist in bedeutenden Kathedralen in Europa und in den USA, u.a. in Notre-Dame in Paris oder in der St. Patrick’s Cathedral in New York. „Es ist relativ einfach, viele Menschen in einer weltberühmten Kathedrale zu erreichen – aber das Konzert in einer kleineren Kirche, wie hier in Kronach, ist für mich besonders reizvoll. Hier kommen die Menschen nicht wegen der imposanten Kirche, sondern wegen der Musik“, so Parolini.
Sein Konzert honorierten die Zuhörer mit begeistertem Applaus. Und so ließ er sich als Zugabe noch eine kleine „Humoresque“ entlocken.
Sabine Raithel (Ressort NP Feuilleton, 20/10/2009)