Sinnenfroh und seelenerbaulich
17 September 2004
Orgelsommer-Finale und Bachtage-Konzert mit Giorgio Parolini in der Erlöserkirche
Im vorigen Jahr hatte er seinen Auftritt beim Internationalen Orgelsommer aus familiären Gründen kurzfristig absagen müssen. Nun ist Giorgio Parolini aus Mailand endlich zu Gast in Potsdam. Mit seinem gut besuchten Konzert in der Erlöserkirche setzt er dem Finale des Orgelsommers, der zugleich eine Offerte im Rahmen der Bachtage ist, einen Schlusspunkt „à gusto italiano“. In dieser italienischen Manier steht nicht nur eine Fantasia von Johann Ludwig Krebs (1713-1780), Schüler Johann Sebastian Bachs. Auch Mitbringsel aus dem sonnigen Süden künden von der melodientrunkenen Seele der Italiener. Größtenteils jedenfalls.Doch zunächst kommen die klar geformten und scharf umrissenen Konturen der norddeutschen Orgelschule zu Gehör. Ganz leise, nasal und schnarrend wispert die Melodie des e-Moll-Präludiums von Dietrich Buxtehude (1637-1707) durch den Diskant. Dann tönt sie zungenstimmenweich, wirkt in ihrem Fließen sehr besänftigend. Hurtig voranschreitend, fast atemlos präsentiert sich der scharf getönte Choral „Christ, unser Herr, zum Jordan kam“. Von solchen Kontrasten lebt auch die Sicht auf zwei Bach-Werke, die beim diesjährigen Orgelsommer mehrfach erklangen.
Sehr sinnenfroh und tänzerisch breitet sich der Choral „Schmücke dich, o liebe Seele“ BWV 654 aus. Die Organisten Martin Stephan und Kilian Nauhaus hatten bei ihren Lesarten ähnliche Klangvorstellungen, als sie gleichfalls Flötenregister bevorzugten, um Seelen-erbauliches schwebend und schwellend auszubreiten. Ganz im Gegensatz zu seinem Wiener Lehrmeister Peter Planyavsky, der Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 bei seinem Orgelsommer-Auftritt von Anfang an flink und fröhlich spielte, beginnt Giorgio Parolini eher zurückhaltender, fast suchend. Dem Pedalsolo bleibt auch er nichts an Virtuosität und Eleganz schuldig – eben à gusto italiano. Geradezu dem Italienklischee verpflichtet, zeigt sich Krebsens Fantasia. Der Bruch – weg von Gefälligkeit, hin zu synkopierter Motorik – kommt abrupt. Signalartige, Messiaen-nahe Sequenzen bestimmen die Toccata capricciosa von Lionel Rogg (geb. 1936), gleichfalls einstiger Lehrer des italienischen Organisten. Ein durchaus originelles Stück genauso wie zwei Auszüge aus „Parafrasi Gregoriane“ von Eugenio Maria Fagiani (geb. 1972), deren archaisch wirkende Grundmuster mit Clustern und Synkopen angereichert sind. Hier hat der Komponist sich konsequent dem Klischee verweigert, Italien sei musikalisch nur ein Land der Oper und des Belcanto.
Doch keine Bange: „Thème et Variations“ op. 115 von Marco Enrico Bossi (1861-1925) rücken das vertraute italienische Klangweltbild wieder ins rechte Gefühlslot. Nach rabiatem Anfang lässt sich melodienselig labsalen, was auch durch den akkordischen Einbruch scharfer Principalstimmen nicht wesentlich getrübt wird. Farbenprächtige Stimmen,wohin man hört. Kaum ein Register, das Giorgio Parolini nicht gezogen hätte. Mit einer zart getönten Zugabe, gleichsam ziseliert, dankt er den handfesten Belobigungen seines Spiels.Die 14. Saison des Internationalen Orgelsommers Potsdam gehört nunmehr der Vergangenheit an. Die zwölf Konzerte, abwechselnd in der Erlöser- und Friedenskirche offeriert, haben erneut mit einer Fülle hierzulande weitgehend unbekannter Orgelliteratur bekannt gemacht. Vor allem die ausländischen Gäste ließen es sich nicht nehmen, uns ihre heimatlichen Komponisten nahe zu bringen. Natürlich standen die Werke Bachs in der ungebrochenen Gunst der Organisten, gefolgt von Messiaen und Mendelssohn Bartholdy. Manche Werke erklangen dabei doppelt und dreifach – was zu interessanten Vergleichen führte. Unbestrittenes Highlight war jedoch der Orgelsommer-Start mit der heiß ersehnten Einweihung der Woehl-Orgel in der Friedenskirche. Immer wieder reichlich genutzt wurde dabei die Möglichkeit, ihr ins
fensterrosettengeprägte Antlitz zu blicken. Es waren erlebnisreiche Wochen.
Mittlerweile gibt es in der Stadt so viele gute und charaktervolle Instrumente, so dass sich durchaus von einer Potsdamer Orgellandschaft sprechen lässt. Sie zu erkunden, sollten künftige Orgelsommer sich angelegen sein lassen, indem sie neben den traditionsreichen Orten der Erlöser- und Friedenskirche auch die Grünberg-Orgel der Französischen Kirche, das neue Wünning-Instrument in der Oberlinkirche und die Schuke-Königin in St. Peter und Paul mit einbeziehen. Gleichsam als „Kammermusikvarianten“ dienen sich die Klein-Glienicker-Kapelle, die Kirche in Bornstedt oder der Gemeindesaal der Erlöserkirche an, allesamt mit gut gepflegten Schuke-Orgeln aus unterschiedlichen Epochen ausgestattet.
Peter Buske (“Potsdamer Neueste Nachrichten”, 17/09/2004)