Frühbarocke Klänge und Kühnheiten
21 Oktober 2008
Immer wieder gelingt es Kirchenmusikdirektor Markus Grohmann, namhafte Organisten für die Neuhäuser Orgelkonzerte zu gewinnen. Nach der Sommerpause stellte sich in der Pfarrkirche St. Petrus und Paulus mit Giorgio Parolini einer der renommiertesten italienischen Organisten der jüngeren Generation vor. Der 1971 geborene Musiker war nach seinen Cembalo- und Orgelstudien in Italien und am Genfer Konservatorium bei verschiedenen internationalen Wettbewerben erfolgreich. Neben einer ausgedehnten Konzerttätigkeit wirkt Parolini derzeit als Titularorganist an der Basilika St. Eufemia in Mailand.
Nach Neuhausen hatte er ein interessantes Programm mitgebracht, dessen Bogen sich von den frühbarocken Klängen Girolamo Frescobaldis über die italienische Spätromantik bis hin zu den harmonischen Kühnheiten Max Regers spann. Für Abwechslung war damit gesorgt. Zusätzliche Farbe brachte neben den gewaltigen Klängen der 2005 restaurierten großen Walcker-Orgel das in seinen Registern feiner disponierte Orgelpositiv von Hieronymus Spiegel ins musikalische Kaleidoskop.
Auf diesem instrumentalen Kleinod spielte Parolini im Altarraum zunächst Frescobaldis „Canzona Quarta“ – eine verspielte Miniatur in brillantem Ton, dessen unterschiedliche Sequenzen der Organist durch differenzierten Registereinsatz unterstrich. Ganz andere Klänge hörte man dann von der Orgelempore herab. Tiefromantisch gefärbt, mit sattem Sound und dichtem Stimmgeflecht ertönte Josef Gabriel Rheinbergers „Sonate a-Moll Nr. 4 op. 98“. Nach der vollgriffigen Einleitung betörten im Intermezzo feine Klangspiele der Zungenregister, und in der Fuga cromatica zeigte Rheinberger, wie kunstvoll man ein weitgehend aus Halbtönen bestehendes Thema kontrapunktisch verarbeiten kann.
Zwei Choralbearbeitungen und Präludium und Fuge a-Moll von Johannes Brahms absolvierte Parolini technisch ebenso versiert, wie er sich durch Kompositionen seines Landsmannes Marco Enrico Bossi spielte. Man genoss die wohltuend ruhigen Töne von „Chant du Soir“ und eines „Ave Maria“, unterbrochen durch das festlich-plakative „Alleluja-Final“, bei dem der Organist vor vollem, gelegentlich etwas zu vehementem Orgeleinsatz nicht zurückschreckte.
Der in Tuttlingen als Kirchenmusiker wirkende Bernard W. Sanders bevorzugt in seinem Choral-Prelude über „Rendez à Dieu“ harmonische Klarheit und eine eher schlichte Linienführung. Von ganz anderem Kaliber sind dem gegenüber Max Regers Orgelkompositionen. Sowohl in der „Toccata op. 59 Nr. 5“ wie auch in der Fuge aus dem selben Opus reizt Reger die Grenzen der Tonalität voll aus und befleißigt sich einer fast bach’schen Strenge des Satzes. Die Orgel entfaltet all ihre Pracht, wird zum sinfonischen Instrument. Giorgio Parolini zog nochmals alle Register des virtuosen Könnens und seiner Gestaltungskraft. Als im Filderdom der Schlusston in gewaltigem Tutti verklungen war, feierten ihn die begeisterten Konzertbesucher mit Standing Ovations.
Rainer Kellmayer (“Esslinger Zeitung”, 21/10/2008)